Die Reise mit einem Hibbelhund

Hibbelhunde – Hunde, die scheinbar nie zur Ruhe kommen, ständig unter Strom stehen und uns manchmal an unsere Grenzen bringen. Aber warum sind manche Hunde so hibbelig? Was steckt dahinter – und wie können wir ihnen helfen, Gelassenheit zu lernen?

Ein Hibbelhund fordert nicht nur Training – er fordert auch eine innere Entwicklung ihres Menschen. Viele Hundehaltende berichten, dass sie durch ihren hibbeligen Hund gelernt haben:

  • Geduld zu entwickeln
  • klarer zu kommunizieren
  • eigene Emotionen besser zu regulieren
  • achtsamer mit sich selbst und der Umwelt umzugehen

Der Hund wird zum Spiegel – und zur Chance, über sich selbst hinauszuwachsen. Diese Perspektive kann helfen, Frustration in Verständnis zu verwandeln.

Die Rolle der Epigenetik

Wenn wir über Hibbelhunde sprechen, denken viele sofort: „Das ist genetisch – der Hund ist halt so.“ Aber die Wissenschaft zeigt: Gene sind nicht alles. Hier kommt die Epigenetik ins Spiel – ein faszinierender Bereich, der erklärt, wie Erfahrungen und Umweltbedingungen die Aktivität von Genen beeinflussen, ohne die DNA selbst zu verändern.

Epigenetik bedeutet wörtlich „auf dem Gen“. Sie beschreibt also Mechanismen, die wie Schalter wirken: Gene können dadurch „an“ oder „aus“ gestellt werden – abhängig von äußeren Einflüssen wie Stress, Ernährung oder sozialen Erfahrungen.

Warum ist das wichtig für Hibbelhunde?

Frühe Erfahrungen prägen das Stresssystem:

Chronischer Stress verändert die Gene, die für Cortisolregulation und Angstverhalten zuständig sind. Das kann zu erhöhter Nervosität und Reaktivität führen.

Pränataler Stress bei der Mutter kann epigenetische Spuren hinterlassen, die das Verhalten der Welpen beeinflussen. Welpen von gestressten Hündinnen zeigen später mehr Angst und Stressreaktionen.

Positive Erfahrungen fördern epigenetische Muster, die Gelassenheit und Lernfähigkeit begünstigen.

Was bedeutet das für den Alltag?

Epigenetik gibt Hoffnung: Selbst wenn ein Hund genetisch bedingt hibbelig ist, kann durch Umwelt und Erfahrungen viel beeinflusst werden:

  • Schaffe Routinen und Sicherheit.
  • Vermeide dauerhaften Stress.
  • Fördere positive Lernerfahrungen und Beziehung.
  • Achte auf ausgewogene Ernährung, denn auch Nährstoffe wie Folsäure und Omega-3-Fettsäuren beeinflussen epigenetische Prozesse.

Epigenetik zeigt: Verhalten ist nicht nur Schicksal. Es ist das Ergebnis eines Zusammenspiels von Genen und Erfahrungen. Für Hibbelhunde heißt das: Mit Geduld, Struktur und positiven Erlebnissen kannst du langfristig Ruhe und Selbstvertrauen fördern.

Hormone und Verhalten

Wenn wir über Hibbelhunde sprechen, dürfen wir die Rolle der Hormone nicht unterschätzen. Sie sind die unsichtbaren Regisseure im Körper, die Stimmung, Stresslevel und sogar die Fähigkeit zur Entspannung steuern. Zwei Hormone stehen dabei besonders im Fokus: Cortisol und Oxytocin.

Cortisol – Das Stresshormon

Cortisol wird in der Nebennierenrinde produziert und ist Teil der Stressreaktion. Es sorgt dafür, dass Energie bereitgestellt wird, indem es den Blutzuckerspiegel erhöht und den Körper in Alarmbereitschaft versetzt:

  • Hohe Cortisolwerte = Dauerstress: Hunde mit chronisch erhöhtem Cortisol sind oft nervös, impulsiv und haben Schwierigkeiten, sich zu entspannen.
  • Lernblockade: Cortisol hemmt den Hippocampus, das „Gedächtniszentrum“. Stress erschwert also das Lernen und fördert reaktive statt überlegter Verhaltensweisen.
  • Langzeitfolgen: Dauerstress kann zu gesundheitlichen Problemen wie Immunschwäche und Verhaltensauffälligkeiten führen.

Oxytocin – Das Bindungshormon

Oxytocin wird im Hypothalamus gebildet und über die Hypophyse ausgeschüttet. Es ist bekannt als „Kuschelhormon“ und spielt eine zentrale Rolle bei sozialem Verhalten und Bindung:

  • Fördert Vertrauen und Nähe: Streicheln, Blickkontakt und positive Interaktionen erhöhen den Oxytocinspiegel bei Hund und Mensch.
  • Stresspuffer: Oxytocin wirkt beruhigend und kann die negativen Effekte von Cortisol abmildern.
  • Bindung & Training: Ein hoher Oxytocinspiegel stärkt die Beziehung und macht den Hund empfänglicher für Lernen.

Diese beiden Hormone sind Gegenspieler:

  • Stressvolle Situationen → Cortisol steigt, Oxytocin sinkt
  • Positive soziale Interaktionen → Oxytocin steigt, Cortisol sinkt
    Das bedeutet: Unsere innere Haltung und die Art, wie wir mit dem Hund umgehen, beeinflussen seine Biochemie direkt. Ein ruhiger, klarer Umgang kann den Stresspegel senken und die Beziehung stärken.

Praktische Tipps

  • Ruhige Rituale: Streicheln, Blickkontakt und sanfte Berührung fördern Oxytocin.
  • Stressreduktion: Vermeide hektische Situationen und arbeite mit klaren Signalen.
  • Training in kleinen Schritten: Weniger Stress = weniger Cortisol = besseres Lernen.

Hormone sind mächtige Einflussfaktoren. Cortisol kann Hibbelhunde in Dauerstress halten, während Oxytocin Vertrauen und Ruhe fördert. Wer das versteht, kann Training und Alltag so gestalten, dass der Hund nicht nur gehorcht, sondern sich wirklich wohlfühlt.

Kognitive Überforderung

Viele Hundehaltende glauben, dass Hibbelhunde einfach „mehr Auslastung“ brauchen – mehr Training, mehr Beschäftigung, mehr Action. Doch genau hier lauert eine große Gefahr: kognitive Überforderung.

Was bedeutet kognitive Überforderung?

Kognitive Überforderung entsteht, wenn die geistigen Anforderungen die Verarbeitungsfähigkeit des Hundes übersteigen. Das Gehirn ist überlastet – ähnlich wie bei uns Menschen, wenn wir zu viele Aufgaben gleichzeitig erledigen sollen. Bei Hunden führt das zu Stress, Frustration und oft zu scheinbar „ungehorsamem“ Verhalten.

Typische Anzeichen:

  • Hund friert ein oder „schaltet ab“
  • hektisches Verhalten wie Kreisen, Bellen, Jaulen
  • übermäßiges Hecheln, Zittern
  • Verweigerung von Futter oder Aufgaben
  • Übersprungshandlungen (z. B. Lecken, Kratzen, Gähnen)

Was passiert im Gehirn?

Bei Überforderung geraten wichtige Hirnregionen aus dem Gleichgewicht:

  • Präfrontaler Cortex (Entscheidungen, Impulskontrolle) bricht unter Stress zusammen
  • Hippocampus (Gedächtnis, Orientierung) kann keine neuen Informationen mehr speichern
  • Amygdala (Emotionen) übernimmt – Stress nimmt überhand
    Das Ergebnis: Der Hund kann nicht mehr lernen, sondern reagiert nur noch impulsiv. [zoeta-dogsoul.com]

Hibbelhunde sind oft extrem reizoffen und haben eine geringe Frustrationstoleranz. Sie wollen alles gleichzeitig wahrnehmen und reagieren schnell auf Reize. Wenn wir sie mit zu vielen Aufgaben, Reizen oder Erwartungen konfrontieren, steigt das Stresslevel massiv. Dauerhafte Überstimulation führt zu chronisch erhöhtem Cortisol – und das macht den Hund noch hibbeliger.

Typische Fehler

  • Zu viele Trainingsreize in kurzer Zeit
  • Dauerbespaßung ohne Ruhephasen
  • Komplexe Aufgaben ohne schrittweise Einführung
  • Fehlende Pausen zwischen mentaler und körperlicher Auslastung
    Studien zeigen: Hunde brauchen bis zu 18 Stunden Ruhe pro Tag, um Stress abzubauen und Informationen zu verarbeiten. [rundum.dog]

Praktische Tipps

  • Weniger ist mehr – kurze, klare Trainingseinheiten statt Marathon-Sessions
  • Ruhephasen einplanen – nach jeder mentalen Aufgabe mindestens 2–3 Stunden Pause
  • Schwierigkeitsgrad langsam steigern – Erfolgserlebnisse sind wichtiger als ständige Herausforderungen
  • Reizkontrolle im Alltag – weniger Ablenkung, mehr Struktur
  • Entspannung fördern – durch Rituale, ruhige Beschäftigung und sichere Rückzugsorte

Kognitive Auslastung ist wichtig – aber Überforderung macht Hibbelhunde noch hibbeliger. Balance ist der Schlüssel: Mentale Arbeit, körperliche Bewegung und echte Ruhe müssen sich abwechseln. Nur so entsteht Gelassenheit statt Dauerstress.

Der Mensch als Ruhepol

Hibbelhunde sind oft wie ein Spiegel: Sie zeigen uns, wie viel Unruhe und Stress wir selbst ausstrahlen. Studien belegen, dass Hunde unsere Emotionen nicht nur wahrnehmen, sondern sie sogar physiologisch spiegeln. Das bedeutet: Wenn wir gestresst sind, steigt auch der Stresslevel unseres Hundes – messbar am Cortisolwert und an der Herzfrequenz.

Warum ist der Mensch so wichtig?

Hunde orientieren sich in unsicheren Situationen an ihrem. Unsere Körpersprache, Atmung und innere Haltung senden Signale, die der Hund sofort interpretiert. Wenn wir Ruhe ausstrahlen, geben wir Sicherheit. Wenn wir angespannt sind, verstärken wir Unsicherheit und Stress.

Bewusste Selbstregulation:

  • Innere Klarheit: Hunde reagieren weniger auf Worte als auf unsere Energie und Körpersprache.
  • Emotionale Stabilität: Damit unsere Hunde besser lernen und entspannter sind.
  • Authentische Präsenz: Ruhe beginnt im Menschen – nicht im Hund. Wer souverän und gelassen handelt, wird zum Ruhepol.

Was passiert bei Stressübertragung?

  • Emotionale Ansteckung: Hunde übernehmen unsere Gefühlslage – positiv wie negativ.
  • Hormonelle Synchronisation: Cortisolwerte von Mensch und Hund verlaufen oft synchron. Das heißt: Dauerstress beim Menschen = Dauerstress beim Hund.

Praktische Tipps

  • Atme bewusst – tiefe Atemzüge senken deinen Stress und damit den deines Hundes.
  • Ruhige Rituale – feste Abläufe geben Sicherheit.
  • Körpersprache checken – entspannte Haltung statt Anspannung.
  • Selbstführung üben – Meditation, Achtsamkeit oder kurze Pausen helfen dir, gelassen zu bleiben.

Hibbelhunde brauchen nicht nur Training – sie brauchen einen Menschen, der Ruhe ausstrahlt. Deine Energie ist der Schlüssel: Je klarer und entspannter du bist, desto gelassener wird dein Hund.

Wissenschaft

Studie: Überimitation bei Hunden (Huber et al., 2018–2023)
Hunde kopieren sogar irrelevante Handlungen ihrer Bezugspersonen – ein Zeichen für soziale Intelligenz. Der Mensch muss sich seiner Vorbildfunktion bewusst sein – hektisches Verhalten überträgt sich direkt.

Studie: Perspektivenübernahme (Lonardo et al., 2021)
Hunde erkennen, ob ein Mensch weiß, wo ein Leckerli versteckt ist – sie unterscheiden zwischen wahrer und falscher Information. Hibbelige Hunde sind oft besonders sensibel für die Absichten und Emotionen ihrer Menschen – und reagieren entsprechend stark.

Studie: Wirkung von Ruhetraining (verschiedene Trainingsstudien)
Deckentraining, Impulskontrollübungen und Entspannungsrituale zeigen messbare Effekte auf das Verhalten und die Stresshormonwerte von Hunden.Ruhe ist trainierbar – und wirkt sich positiv auf Gesundheit und Verhalten aus.

Die 3 Ebenen der Hibbeligkeit

Du kannst Hibbeligkeit in drei Ebenen unterteilen – das hilft bei der Analyse und beim Training:

  1. Körperliche Ebene: Bewegungsdrang, Muskelspannung, Schlafmangel
  2. Emotionale Ebene: Unsicherheit, Angst, Frustration
  3. Kognitive Ebene: Reizüberflutung, Konzentrationsprobleme, Impulsivität

Ein ganzheitliches Training berücksichtigt alle drei Ebenen – und führt langfristig zu mehr Ruhe und Ausgeglichenheit.

Alltagstipps für mehr Ruhe

Zuhause

  • Feste Ruhezeiten einführen (z. B. nach dem Spaziergang)
  • Reizarme Schlafplätze schaffen
  • Kein Dauer-TV oder laute Musik
  • Entspannungsrituale etablieren (z. B. Massage, ruhige Stimme)

Spaziergang

  • Lieber 30 Minuten ruhiges Schnüffeln als 60 Minuten Action
  • Reizarme Wege wählen
  • Kein Ballwerfen oder hektisches Spiel
  • Pausen einbauen – auch einfach mal stehen bleiben

Training

  • Kurze Einheiten mit klarer Struktur
  • Erfolgserlebnisse schaffen
  • Frustrationstoleranz langsam steigern
  • Ruhe belohnen – nicht nur Aktivität

Wichtig ist einmal innezuhalten und zu überlegen, ob das was man tut sich gut anfühlt.

Fazit

Wenn du einen Hund hast, der manchmal einfach nicht zur Ruhe kommt, dann bitte: Schäme dich nicht! Ein hibbeliger Hund bedeutet nicht, dass du versagt hast. Löse dich von diesen Gedanken – sie helfen weder dir noch deinem Hund.

Die Welt um uns wird immer schneller, lauter und anspruchsvoller. Das spüren auch unsere Hunde – und sie reagieren darauf in Wechselwirkung mit uns Menschen. Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam Wege finden, Ruhe und Gelassenheit zu fördern.

Wenn du das Gefühl hast, allein nicht weiterzukommen, hol dir professionelle Unterstützung. Ein guter Trainer kann euch helfen, wieder mehr Balance in euren Alltag zu bringen.

Und denk daran: Jeder Schritt zählt. Du bist nicht allein – und dein Hund ist nicht „falsch“. Er ist einfach ein Spiegel unserer Zeit.

Quellen:

Anidom Diagnostics: Einfluss von Ernährung und Umwelt auf epigenetische Marker. [anidom.de]
Bettys-Tierecke.de: Stressübertragung vom Menschen zum Hund [bettys-tierecke.de]
Clever Dog Lab, Vetmeduni Wien – Studien zur Überimitation bei Hunden
Daniela Loibl: Hibbelhund – Hyperaktive Hunde verstehen & unterstützen [danielaloibl.com]
Deine-Tierwelt.de: Studien zeigen: Unser Stress überträgt sich auf unsere Hunde [deine-tierwelt.de]
Doris Thannhäuser: Einfluss unserer Emotionen auf Hunde [doristhannhaeuser.de]
Epigenetische Studien zur Stressverarbeitung bei Hunden
Gnanadesikan et al. (2024): Human-Animal Interaction and Hormonal Responses. Psychoneuroendocrinology. [veterinary…actice.com]
Havermans et al., 2021: Epigenetische Veränderungen durch Stress bei Hunden. [unterhunds.de]
Hakanen et al., 2020: Pränataler Stress und Welpenverhalten. [unterhunds.de]
Kynologos Kompaktwissen Nr. 07 & 09: Epigenetik und Stressbewältigung beim Hund. [kynologos.ch], [kynologos.ch]
Landtiere.de: Stress und Gefühle von Mensch auf Hund übertragbar [landtiere.de]
Lonardo et al. (2021) – Perspektivenübernahme bei Hunden
Luckypets.de: Liebe zwischen Mensch und Hund – Wissenschaftliche Erkenntnisse. [luckypets.de]
Max-Planck-Institut: Dogs read human emotions and perform better for happy owners [gea.mpg.de]
Max-Planck-Institut für Geoanthropologie – Studien zur Hundekognition
MenschDurchHund.de: Körpersprache als Schlüssel zur Führung [menschdurchhund.de]
Petersson et al. (2017): Oxytocin and Cortisol Levels in Dog Owners and Their Dogs Are Associated with Behavioral Patterns. Frontiers in Psychology. [frontiersin.org]
Pfoten-Power: Hibbelhunde – Wenn Ruhe keine Option ist [pfoten-power.com]
Rundum.dog: Mentale Auslastung statt Dauerbespassung [rundum.dog]
Rundum.dog Wiki: Oxytocin beim Hund – Wirkung, Funktion & Forschung. [rundum.dog]
SIRIUS Behavior Vets: Hyperreaktivität oder konditionierte Erregung? [verhaltens…ie-tier.de]
Spork, P. (2025): Die Epigenetik des Hundes. Kosmos Verlag. [kosmos.de]
Studien zur HPA-Achse und Amygdala-Aktivität bei stressanfälligen Hunden
Studien zur Wirkung von Oxytocin und Cortisol im Hundeverhalten
Trainingsstudien zur Impulskontrolle und Frustrationstoleranz
Umweltwirkungsstudien zur Reizverarbeitung bei Hunden
Vanjara-Dogtraining: Ruhe beginnt im Menschen – nicht im Hund [vanjara-do…raining.ch]
Wamiz.de: Hormone beim Hund – Einfluss auf Verhalten. [wamiz.de]
Zoeta Dogsoul: Understanding Cognitive Overload in Dogs [zoeta-dogsoul.com]

25.11.2025 – Es kann keine Verantwortung hinsichtlich Vollständigkeit und Korrektheit übernommen werden. Alle Angaben und genannten Hinweise sind Empfehlungen und müssen individuell geprüft werden.

©4LuckyPaws Sabrina Schmuttermair

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