Ist immer alles mit gut oder schlecht zu bewerten?

In der Hundewelt begegnen wir nahezu täglich dem Reden in schwarz-weißen Kategorien: „Dieser Klicker ist gut, jenes Leckerli schlecht“, „positive Verstärkung ist top, hemmende Methoden sind böse“. Doch taugt dieses Denken, das alles strikt in „gut“ und „schlecht“ einteilt, wirklich als Kompass für den verantwortungsvollen Umgang mit unseren Hunden?

Das sogenannte Dualistische Denken liefert eine schnelle Orientierung, indem es die Welt simplifiziert, also vereinfacht. Es ignoriert jedoch alle Zwischentöne, Graubereiche und individuelle Unterschiede und führt damit leicht zu schematischen Urteilen.

Moralischer Absolutismus

Moralischer Absolutismus ordnet Handlungen streng in Kategorien wie „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „schlecht“ ein. 

In der Hundetraining-Praxis äußert sich das oft so: „Positive Verstärkung ist immer gut.“ vs. „Hemmung ist immer schlecht.“

Dieses Denken beruht auf der Annahme, dass es universelle Wahrheiten gibt, die für jede Situation gelten. Doch im realen Zusammenleben mit Hunden stoßen solche Pauschalurteile rasch an ihre Grenzen, weil sie Kontext und individuelle Unterschiede außer Acht lassen.

Relativismus als Gegenentwurf

Der Relativismus besagt, dass Moralvorstellungen kultur-, situations- und kontextabhängig sind. 

Übertragen auf den Hundebereich heißt das: Was bei einem ängstlichen Hund Angst abbaut, kann bei einem hochmotivierten Hund inadäquat sein. Die Bewertung von Methoden sollte daher stets mit Blick auf:

  • Persönlichkeit und Genetik des Hundes
  • Umweltbedingungen und Reizlage
  • Ziele und Werte des Halters

erfolgen.

Historische Entwicklung der Hundetrainingsmethoden

Klassische Konditionierung nach Pavlov und signallernende Hunde: Pawlow legte mit seinen Experimenten zur klassischen Konditionierung den Grundstein für modernes Hundetraining. Er zeigte, wie Hunde auf neutrale Reize (Glocke) konditioniert werden können, um natürliche Reflexe (Speichelfluss) auszulösen. Pavlovs Arbeiten führten zur Idee, Verhalten systematisch gezielt zu formen

Operante Konditionierung nach Skinner: Skinner baute in den 1930er Jahren darauf auf und definierte Verstärkung (positive/negative) sowie Bestrafung (positive/negative) als zentrale Steuerungsinstrumente im Training.

Lorenz’ Prägungstheorie: Konrad Lorenz’ Forschung zur Prägung machte deutlich, wie stark genetische Prädispositionen das Verhalten beeinflussen. Ethologische Trainingsweisen setzen daher auf möglichst naturnahe Bedingungen und minimieren künstlichen Zwang.

Moderne, humane Ansätze: Seit den 1990er Jahren geht die Tendenz weg von starren Dogmen, hin zu individuell angepasstem Training.

Kontextuelle Bewertung statt moralischer Absolutismen

Der Hund als Individuum: hierzu gehört das individuelle Temperament (ängstlich, neugierig, aktiv oder gelassen usw.), seine Lerngeschichte (frühkindliche Erfahrungen, Traumata, wie ist ein Hund aufgewachsen usw.) sowie die physische Gesundheit (Schmerzen verändern die Reizschwelle sehr). 

Auch die Umwelt und die Rahmenbedingungen in denen ein Hund lebt, beeinflussen das Verhalten des Hundes: mit welcher Ablenkung und Reizdichte muss sich der Hund zurechtfinden, wie ist die soziale Situation (Mehrhundehaushalt, Kleinkinder oder ähnliches) und welche physischen Ressourcen bringt er mit?

Situationsdiagnose statt Methode nach Schema F

Bevor man ein Verfahren wahlweise verdammt oder verklärt, empfiehlt sich:

  • Ist-Analyse: Persönlichkeitsprofil, Gesundheitscheck, Umfeld.
  • Zielklärung: Was soll das Training konkret erreichen?
  • Methode(n)-Mix: Kombination aus Belohnung, Management, feinen Korrekturen.
  • Monitoring: Beobachten von Stresssignalen
Auf dem Weg zu einer Grautöne-Moral

Die philosophische Erkenntnis, dass nicht alles pauschal gut oder schlecht ist, hilft uns, unsere Haltung flexibel zu halten. Statt starrer Dogmen nutzen wir einen:

  • Context First-Ansatz: immer zuerst Situation prüfen
  • Individual-Fokus: jeden Hund als einzigartiges Wesen betrachten
  • Outcome-Check: Methoden regelmäßig auf Effektivität und Wohlbefinden evaluieren
Fazit

Schwarz-weiße Urteile in Hundetrainingsfragen führen unweigerlich in Sackgassen. Nur wer bereit ist, komplexe Zusammenhänge zu durchdringen und Methodik im Kontext anzuwenden, wird nachhaltig Erfolg haben – und das Wohl des Hundes in den Mittelpunkt stellen. Moralische Flexibilität ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen ethischer Reife.

Letztlich gilt: Gute Trainer sind nicht diejenigen, die strikt nach einem Dogma arbeiten, sondern jene, die sich nach Hund, Umgebung und Ziel ausrichten und bereit sind, Verantwortung in jeder einzelnen Trainingssituation zu übernehmen.

Quellen:
Skinner, B. F. (1938). The Behavior of Organisms. Appleton-Century.
Pavlov, I. P. (1927). Conditioned Reflexes. Oxford University Press.
Lorenz, K. (1937). Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung. ZbV.
Aristotle (ca. 340 v. Chr.). Nicomachean Ethics.
Mill, J. S. (1863). Utilitarianism. Parker, Son, and Bourn.
Kant, I. (1785). Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.
Pryor, K. (1999). Don’t Shoot the Dog!. Bantam.
Dunbar, I. (2001). Before and After Getting Your Puppy. Alpine Publications.
Panksepp, J. (1998). Affective Neuroscience. Oxford University Press.
Hughes, K. (2007). Click to Calm. Dogwise.

08.07.2025 – Es kann keine Verantwortung hinsichtlich Vollständigkeit und Korrektheit übernommen werden. Alle Angaben und genannten Hinweise sind Empfehlungen und müssen individuell geprüft werden.

©4LuckyPaw’s Sabrina Schmuttermair

BVZ Hundetrainer Mitglied
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